Projekt: Musik.Theater


Elfriede Jelinek, Olga Neuwirth: Bählamms Fest, Inszenierung: Nicholas Broadhurst, Wiener Festwochen 1999: © Imagno/Didi Sattmann/picturedesk

„[...] am meisten reizt es mich zu sehen, ob etwas auch außerhalb der Bühne [...]
sozusagen in einem rein akustischen Raum existieren kann."

aus: Elfriede Jelinek: Wer nicht fühlen will, muss hören

Der Forschungsschwerpunkt Musik.Theater nimmt seinen Ausgangspunkt beim musikalischen Potenzial von Elfriede Jelineks (Theater-)Texten, ihrer Arbeit mit dem Klang und der Lautlichkeit von Sprache und dem besonderen Fokus, den die Autorin auf die Musikalität ihrer Texte legt.  

Jelinek schrieb nicht nur selbst Libretti für die musiktheatralen Werke anderer Künstler*innen, sie schafft zudem in ihren Theatertexten konsequent musikalische Strukturen, u.a. durch die Arbeit mit polyphonen Textflächen und der Rhythmisierung des Textmaterials im Chorischen.

 

Die Grenzen zwischen Musik- und Sprechtheater sind bei Jelinek so immer schon fließend – womit sie die Regisseur*innen ihrer Theatertexte zu musikalischen Formen der Inszenierung herausfordert. 

Ein erster Arbeitsschwerpunkt nimmt, ausgehend von musikalisch-rhythmischen Aufführungen von Jelineks Theatertexten bei Einar Schleef, Nicolas Stemann, Jossi Wieler und anderen Regisseur*innen, die fließenden Grenzen zwischen Musik- und Sprechtheater im zeitgenössischen Bühnengeschehen in den Fokus. Untersucht werden historische und gegenwärtige Formen der Verschränkungen von Theater und Musik sowie das Zusammenspiel zwischen Text, Musik und Szene im Theater der Gegenwart: Wie lassen sich aktuelle Tendenzen der „Musikalisierung von Theater“ beschreiben? Die Mitglieder des Arbeitsschwerpunktes diskutieren und experimentieren zudem gemeinsam mit möglichen Zukunftsformaten des musikalisierten Theaters. 

 

Der zweite Arbeitsschwerpunkt nimmt das Musiktheater selbst in den Blick und stellt dabei zunächst die Frage, ob der Begriff „Oper“ den gegenwärtigen ästhetischen Formen noch gerecht wird. Braucht es angesichts von gattungsüber-schreitenden Musiktheaterpraktiken eine systematische Weitung des Opernbegriffs? Ein besonderer Fokus liegt auf dem Spannungsverhältnis zwischen Text, Musik und szenischer Aufführung. Welche Rolle spielt der Text in gegenwärtigen Musiktheaterwerken – „verschwindet“ er womöglich hinter der Musik? Wäre auch eine Oper ohne Text, ja, gar ohne Narration denkbar? Angesichts von intermedialen, u.a. auch mithilfe künstlicher Intelligenz kreierten Formen, welche die herkömmlichen Grenzen zwischen Schauspiel, Performance, Videokunst und Musiktheater überschreiten, lässt sich die Frage stellen, ob nach dem Sprechtheater nun auch die Oper im Begriff ist, sich zu entgrenzen – und welche musiktheatralen Formen in der Zukunft denkbar sind.  

 

Der dritte Arbeitsschwerpunkt fragt nach dem gesellschaftspolitischen Status des Musiktheaters der Gegenwart. Wie und auf welche Weise interveniert die Oper in aktuelle politische Diskurse? Auf welchen Ebenen – der Musik, der Narration oder dem Bühnengeschehen – kann Oper politische Anliegen adressieren, kritisieren und womöglich subvertieren? In diesem Zusammenhang untersucht der Schwerpunkt auch historische und aktuelle Formen nicht-europäischer Musiktheaterformen und stellt die Frage, wie der Kulturtransfers zwischen Europa und anderen musikalischen Traditionen, u.a. in China und den USA, sowie die wechselseitige (produktive) Übernahme fremder Kulturelemente für eine neue, offene und egalitäre Oper fruchtbar gemacht werden kann.

 

Methodisch macht der Forschungsschwerpunkt die bei Jelinek angelegte intermediale und Künste-übergreifende Vernetzung zwischen Text, Musik und Theater zum Programm und initiiert wissenschaftlich-künstlerische Arbeitsgruppen und interdisziplinäre und internationale Symposien und Workshops mit dem Ziel, innovative Forschungspositionen und experimentelle Forschungsformate und -ansätze an den Schnittstellen von Wissenschaft und Kunst zu entwickeln. 

Die Arbeitsgruppen setzen sich aus Mitgliedern der Universität Wien, der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, International Scientific Partners des Interuniversitären Forschungsnetzwerks sowie weiteren Kunst und Kulturschaffenden, Expert*innen, und Kooperationspartner*innen zusammen.

 

Am 18.12.2023, 18.1. und 22.1.2024 fand zum Auftakt des Schwerpunkts unter dem Titel "Text <-> Musik <-> Szene" eine Workshopreihe in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Musik statt. Die drei Workshops thematisieren Formen des Zusammenspiels zwischen Text, Musik und theatraler Szene im Musiktheater der Gegenwart. Wie lassen sich aktuelle Tendenzen der "Musikalisierung von Theater" beschreiben? Wird der Begriff "Oper" den gegenwärtigen ästhetischen Formen noch gerecht? Oder braucht es angesichts von gattungsüberschreitenden Musiktheaterpraktiken eine systematische Weitung des Opernbegriffs? Im Horizont dieser Fragestellungen lud die Workshop-Reihe die Librettist*innen und Komponist*innen Julia Purgina und Kristine Tornquist, Thomas Köck und Johannes Maria Staud sowie Dieter Sperl und Bernhard Lang zur Präsentation ihrer jüngsten gemeinsamen Arbeiten und zu Grundsatzdiskussionen über Gegenwarts- und Zukunftsformen des Musiktheaters ein.

 

Am 3. und 4.6.2024 fand in Kooperation mit den Wiener Festwochen | Freie Republik Wien, den Musiktheatertagen, dem Schauspielhaus Wien, der Wiener Staatsoper und der Österreichischen Gesellschaft für Musik das wissenschaftlich-künstlerische Symposium MUSIK.THEATER. Gegenwarts- und Zukunftsformen statt. Das Symposium widmete sich Gegenwarts- und Zukunftsformen des Musiktheaters. Im Fokus standen neue intermediale Formate, kollektive Formen von Autor*innenschaft, Dramaturgien von Sex und Gender, das Aufbrechen des europäischen musiktheatralen Kanons und die politische Kraft der Oper heute. Mit Milo Rau, Florentina Holzinger, Kirill Serenrennikov, Johanna Doderer, Sara Ostertag u.v.a.m.

 

Im Wintersemester 2024/25 organisiert der Schwerpunkt eine international vernetzte Lehre mit Lehrende und Studierenden aus Österreich und China. Das gemeinsame Thema ist das Spannungsfeld von Text, Musik und Theater und der Kulturtransfer im (Musik-)Theater zwischen Europa und China. Lehrveranstaltungen der Universität Wien und der MUK sowie der Nanjing-Universität und des Zhejiang Konservatoriums in China treten dabei in Dialog.

 

Neben wissenschaftlich-künstlerischen Diskussionen und Veröffentlichungen wird auch eine gemeinsame künstlerische Aktion entwickelt, die im April 2025 bei einem internationalen Symposium in China präsentiert wird. Weitere Informa-tionen folgen in Kürze.

 

Die Ergebnisse der Projektarbeiten werden laufend im Open Access auf der Homepage des Interuniversitären Forschungsnetzwerks Elfriede Jelinek sowie auf dessen Portal zu Wissenschaft und Kunst bzw. Elfriede Jelinek und die Musik öffentlich gemacht. 


DIE DREI ARBEITSGRUPPEN


1. MUSIKALISIERTES THEATER

 
DIE MITGLIEDER DER ARBEITSGRUPPE

  • Emre Akal (Regisseur, München)
  • Daniel Jesch (Schauspieler, Wien)
  • Univ.-Prof.in Mag.a Esther Muschol (Studiengang Musikalisches Unterhaltungstheater, Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Karoline Exner (Studiengang Schauspiel, Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, Österreich)
  • Dr.in Monika Voithofer (Institut für Musikwissenschaft, Universität Wien, Österreich)

Veröffentlichungen der Arbeitsgruppe (werden laufend ergänzt)

17.4.2024
Online-Diskussion

Theater als "akustischer Raum"? Musik und Theater bei Jelinek
Mit Emre Akal und Esther Muschol

16.5.2024
Online-Diskussion

Fließende Grenzen? Zur Musikalität von (Jelineks) Theatertexten
Mit Karoline Exner, Daniel Jesch, Jossi Wieler und Monika Voithofer


2. GEGENWARTS- und ZUKUNFTSFORMEN DES MUSIKTHEATERS

DIE MITGLIEDER DER ARBEITSGRUPPE

  • Thomas Köck (Autor, Berlin)
  • Bernhard Lang (Komponist, Graz)
  • Univ.-Prof.in MMag.a Julia Purgina, BEd (Vizerektorin für Kunst und Lehre, Bruckneruniversität Linz)
  • Univ.-Prof. Johannes Maria Staud (Department Komposition & Musiktheorie, Universität Mozarteum Salzburg)
  • Dieter Sperl (Autor, Wien)
  • Kristine Tornquist (sirene Operntheater)

Veröffentlichungen der Arbeitsgruppe

22.1.2024
Diskussion
Vom Theatertext zum Libretto: missing in cantu (eure paläste sind leer) (2023)
Mit Thomas Köck und Johannes Maria Staud, moderiert von Rosa Eidelpes

18.1.2024
Diskussion
Musikalische Gegen-Rhetorik: Cheap Opera #2, 'Playing Trump' (2020)
Mit Dieter Sperl und Christian Schenkermayr

18.12.2023
Diskussion
Kollaborationen zwischen Text, Musik und (bewegtem) Bild. MIAMEIDE. Die stillen Schwestern (2023)
Mit Kristine Tornquist und Julia Purgina, moderiert von Paulina Schmid-Schutti


3. KULTURTRANSFER IN DER OPER

DIE MITGLIEDER DER ARBEITSGRUPPE (werden laufend ergänzt)

  • Univ.-Prof. Dr. He Chengzhou (Nanjing Universität)
  • Ao. Prof.in Dr.in Mei Wei (Shanghai Theatre Academy)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Jean Beers (Studiengang Tasteninstrumente, Musikleitung und Komposition, Musik und Privatuniversität der Stadt Wien)

Veröffentlichungen der Arbeitsgruppe (werden laufend ergänzt)


KOOPERATIONSPARTNER*INNEN DES PROJEKTS

Neben seinem zentralen Kooperationspartner, dem Elfriede Jelinek-Forschungszentrum wird das Projekt in Kooperation mit folgenden Institutionen durchgeführt:

  • Fudan Universität
  • Institut für Kirchenmusik der Universität Greifswald
  • Institut 14 Musikästhetik, Kunstuniversität Graz
  • Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
  • Universität Nanjing
  • Musiktheatertage Wien
  • Nanjing Universität
  • Österreichische Gesellschaft für Musik
  • Schauspielhaus Wien
  • sirene Operntheater
  • Staatsoper Wien
  • Wiener Festwochen
  • Wiener Staatsoper
  • Universität Leipzig, Historisches Seminar, Professur für Neuere Kultur- und Ideengeschichte